1.
Nun hassen Sie Sam Shields, habe ich recht?
Sie finden, daß er all den Typen gleicht, die Sie auch kennen —
Männern, die Sie verlassen haben, die Ihnen Lügen auftischten und
die am Ende nicht mehr zu Ihnen hielten. Doch vergessen Sie nicht,
daß Sam Shields, wie all die anderen, an die Sie denken, glaubte,
er sei es auf den man es abgesehen habe, und daß man ihm übel
mitgespielt habe. Er war derjenige, der sich getäuscht fühlte und
den man betrogen hatte.
Nach dem Auftritt in der Küche verließ Sam Jahnes Haus wie ein Betrunkener. Er konnte es nicht fassen, daß die Frau, die er geliebt und für die er seine Karriere aufs Spiel gesetzt hatte, ihn auf diese Weise hinters Licht führte. Jahne war Mary Jane! Unfassbar. Gespenstisch, wie ein Stephen-King-Roman. Sie hatte ihn zum Narren gehalten. In krankhafter Selbstzerfleischung versuchte er, sich an Unterhaltungen zu erinnern. Wie oft hatte sie über ihn gelacht, wie oft ihn bei Lügen, Ausflüchten, Halbwahrheiten ertappt?
Unweigerlich setzte bei ihm der Verteidigungsmechanismus ein. Natürlich hatte er sich falsch benommen. Doch wieviele Monate vorher hatte sie begonnen, ihm diese Falle zu stellen? Sicher, er war kein Mustermann. Doch sie war verrückt und heimtückisch. Welche Frau dachte sich so etwas aus? Welche Frau setzte so etwas in die Tat um? Wie würden Sie die Frage beantworten, liebe Leserin?
Sam saß in dem abgedunkelten Raum und sah sich die erste Rohfassung des neuen Birth of a Star an. Er rutschte nervös auf seinem Platz herum. Tatsächlich würde es so gehen. Es entsprach zwar nicht dem, was er sich unter der Verfilmung dieser Vorlage gedacht hatte. Doch man konnte es lassen.
Er und April, Laslo und Michael sowie die Doubles waren nach Hongkong geflogen und hatten in hektischen neunzehn Tagen die neuen Szenen für den Film abgedreht. Die Joy-Wah-Studios waren eine Filmfabrik, die allmonatlich Dutzende von Action- und Pornofilmen auf den asiatischen Markt warfen. Sie hatten Techniker und eine Crew für Spezialeffekte, die schnell und billig arbeiteten. Durch deren tatkräftige Hilfe hatte sich der Film verändert.
Sam faßte sich an die Schläfe. Seit einer Woche oder länger plagten ihn fürchterliche Kopfschmerzen. Nichts half dagegen. Vielleicht lag es am Klima oder dem Wasser in Hongkong, vielleicht daran, daß er stundenlang auf die Leinwand starrte. Nicht einmal die täglichen Massagen und die Kunst der chinesischen Akupunktur hatten ihm Erleichterung verschafft.
Sam hatte praktisch Tag und Nacht gearbeitet, um den Film zu retten — und sich selbst. Nachdem die neuen Szenen geschrieben und abgedreht worden waren, durfte er Hongkong endlich verlassen und mit der Rohfassung und seinen Kopfschmerzen nach L.A. zurückkehren.
Der Film war anders geworden, doch nicht notwendigerweise schlechter, wie er sich einredete. Die erste Filmversion war ein Reinfall gewesen, eine Totgeburt. Er hatte von Anfang an bei diesem Melodram seine Bedenken gehabt. Bis auf diesen Tag wußte Sam nicht, ob die Fehlgeburt eine Folge des allzu häufig umgeschriebenen Drehbuchs war, oder ob, Michaels Sabotage oder Jahnes leblose Darstellung die Schuld trugen. Jedenfalls hatte der Film nichts getaugt. Nun hatten sie die Musik unterlegt, hatten gestrafft. Dieser Birth of a Star hatte Chancen. Sam zweifelte nicht daran, daß es der in sexueller Hinsicht ungeschminkteste Film war, der je hergestellt worden war. Zweifellos würde er die Kosten wieder einspielen. Trotzdem wußte Sam nicht, ob man ihn einen guten Film nennen konnte.
Auf dem Flug nach Hongkong war er noch wütend auf Jahne gewesen. Er hatte kein Wort mehr mit ihr gewechselt. Doch in den wenigen Stunden, die ihm an Freizeit blieben, hatte er aus den Panoramafenstern des Hotels Regent den überwältigenden Blick auf den Hafen von Hongkong genossen und versucht, innerlich mit allem klar zu kommen. Er hatte Jahne geliebt. Vielleicht liebte er sie noch immer. Er wußte auch warum. Ihr Anblick hatte seinen Augen wohlgetan, wie es nur weibliche Schönheit vermag. Gleichzeitig hatte sie für ihn gesorgt, wie es Mary Jane einmal getan hatte. Sie besaß die Fähigkeit zur Leidenschaft, die nur den Hässlichen in dem Maße eigen ist. Mary Jane hatte ihm ein Wohlgefühl verschafft. Sie hatte ihn angebetet. Er hatte überhaupt nicht das Verlangen gehabt, ihr zu gefallen. Und sie hatte ihn akzeptiert wie eine Mutter, während Jahne ihm den sexuellen Anreiz eines Mädchens im Alter ihrer Tochter gab. Konnte man es ihm ankreiden, daß er das begehrt hatte? Sehnten sich nicht alle Männer nach der Sicherheit einer kritiklosen Liebe? Sexuelle Versuchung ohne Herausforderung! Jahne besaß die Reife einer Vierzigjährigen in dem Körper einer Jugendlichen und die Verwundbarkeit von beiden.
Damals in New York hatte er sich wegen Mary Jane und seiner Abhängigkeit von ihr geschämt. Jetzt wußte er, daß er sie geliebt hatte, auch wenn er sie nie seinen Eltern vorgestellt hätte oder sich mit ihr auf einer Hollywoodparty hätte zeigen wollen. War das etwa nicht nur menschlich? Das mußte doch jeder verstehen. Er rutschte wieder unbehaglich auf seinem Sitz herum. Die Bilder auf der Leinwand quälten ihn. Jahnes Gesicht, Jahnes Körper bedrängten ihn.
Hatte Jahne ihn zum Gespött gemacht? Lachten die Hampelmänner wie Molly und Chuck und diese kleine Ratte Neil jetzt über ihn, seine Oberflächlichkeit und Dummheit? Wer hielt ihn sonst noch für einen Narren? Ganz Hollywood? Er seufzte, wußte nicht, ob Jahne aus Gemeinheit gehandelt hatte oder weil sie ihn liebte. Zweifellos hatte ihn Mary Jane geliebt. Es fragte sich nur, ob sie diese Transformation aus Liebe oder Rache auf sich genommen hatte. In jedem Fall lief es auf einen grausamen Trick hinaus. Denn trotz dieses Betrugsmanövers liebte er Jahne noch immer. Vielleicht konnten sie wirklich noch einmal zusammenfinden, später, nachdem er gerettet hatte, was an Birth of a Star zu retten war.
Wieder in L.A., igelte Sam sich in dem Schneideraum ein und ließ die Filmstreifen bewachen. Niemand außer Michael, Seymore und April hatten Zugang zu den Filmrollen. Die Herren im grauen Flanell durften nur die Endfassung des Films sehen. Bis dahin blieb alles unter Verschluß.
Inzwischen hatte es sich herumgesprochen, daß der Film Schwierigkeiten machte. Das brachte April in Rage. Sie fürchtete, daß die Verleiher sich den Film nicht einmal ansehen würden. Darum bestand sie darauf, die Premiere vorzuverlegen. Jahne, Laslo, nicht einmal der kleine Joel Grossman sollten den Film zu Gesicht bekommen. Sam schüttelte den schmerzenden Kopf. Der arme A. Joel Grossman. Er war verloren, seit Adrienne zu Michael McLain übergelaufen war und ihn im Stich gelassen hatte. Adrienne, das Double.
Sam wußte, daß er seine Kraft nicht in den Film steckte, um Jahne oder Mary Jane einen Gefallen zu tun oder um seinen Zorn oder seine Rache abzureagieren. Er arbeitete, damit der Film ein Erfolg wurde, damit er, Sam, die Kontrolle behielt und seine Karriere nicht gefährdet wurde. Wie April ihm zu verstehen gegeben hatte, würde es ein anderer machen, wenn er nicht dazu bereit war.
Inzwischen war er mit seiner Arbeit recht zufrieden. Adriennes Körper wirkte wunderschön. Die Schnitte verliefen nahtlos, nahtloser als die Chirurgie an Jahnes Körpers. Sie würde sich absolut vollkommen auf der Leinwand wiedersehen.
War es das nicht, was alle Frauen anstrebten?
Michael McLain lag zufrieden auf dem weichen Bett. Er lächelte, obwohl keine Kamera dieses Lächeln einfing. Alles hatte sich zum Guten gewendet. Die Aufnahmen waren vor einer Woche beendet worden, und sie hatten ihm viel Spaß gemacht. Natürlich empfand er ein seltsames Gefühl in der Magengrube, als er gewissermaßen die Szene verließ und ein Double weitermachte. Doch Adrienne, das Mädchen, das für Jahne Moore die Nacktszenen übernommen hatte, ließ keinen Zweifel daran, daß sie nur Augen für ihn hatte. Schließlich hatte er immer noch das, worauf es ankam, obwohl sein Bauch nicht mehr flach wie ein Brett war. Er tätschelte Adriennes nackten Po. Sie war bei ihm geblieben, um noch eine Woche mit ihm in Hongkong Urlaub zu machen. Eine Woche Shopping und Sex. Er mochte beides.
Ihm gefielen auch die Tagesabzüge. Die Streifen waren nicht nur heiß, sie waren wahnsinnig heiß und einfach phantastisch. Laslo und Sam, dieser geile Bock, hatten einige geschickte Drehs und Szenen ausgeklügelt. Noch nie hatte Sex auf der Leinwand so gut ausgesehen.
Im Studio hatten sie es Michael so leicht wie möglich gemacht. Ein Heer orientalischer Mädchen hatte ihn gepudert und massiert oder mit Glyzerin eingerieben, damit seine Haut aussah, als schwitze er. Sie verehrten ihn und verbeugten sich vor ihm.
Ja, alles hatte funktioniert. Die ganze Sache barg zweifellos ein Risiko. Doch der Film ermöglichte es Michael McLain, sich als Hauptdarsteller in einem Liebesfilm, vom Kino zu verabschieden. Danach würde er dem Filmgeschäft den Rücken zukehren und etwas Seriöses anfangen.
Vielleicht würde er sogar noch heiraten.